Welchen Sinn macht dein Job für dich? Arbeit ist ein zentrales Element in unserem Leben und auch wenn es Momente der Sinnlosigkeitserfahrung oder Unlust gibt, so dürfen wir uns dennoch glücklich schätzen, wenn wir Arbeit haben. Vorausgesetzt die Rahmenbedingungen entsprechen auch humanistischen Kriterien. Manche Menschen haben jedoch keinen Job und leiden früher oder später unter den materiellen und psychischen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit. Doch welchen Stellenwert hat Arbeit allgemein für uns im Leben und der Gesellschaft? Ist der Wert der Arbeit gottgegeben oder doch sozial konstruiert? In diesem Artikel gebe ich einen kurzen historischen Abriss zum Wert der Arbeit um anschließend auf die Folgen der Arbeitslosigkeit einzugehen. Kernstück dieses Artikels sind die fünf psychologischen Funktionen der Arbeit, abseits des Materiellen. Abschließend gebe ich ein kurzes Plädoyer, weshalb der Wert der Arbeit und der Rahmenbedingungen eine Neubewertung erfahren sollte.act
Über die Bedeutung der Arbeit in unserer Gesellschaft
Arbeit in der westlichen Gesellschaft
Arbeit zu haben ist vor allem in der westlichen Welt auch zentraler Bestandteil unseres gesellschaftlichen Wertesystems. Überlegt mal, wenn ihr jemanden kennenlernt, was fragt euer Gegenüber in der Kennenlernphase?
Eine häufige Frage ist: Was arbeitest du? Oder: Was studierst du?
So richtig bewusst geworden ist mir des bereits als 20-järhiger auf meiner 6-monatigen Australienreise. Ich habe in diesen sechs Monaten irrsinnig viele andere Menschen, Australier, aber vor allem andere Reisende kennengelernt. Die häufigste Frage war damals: Where you from?
Doch auch wenn die Startfrage bei anderen Rucksackreisende die Frage nach der Herkunft war, so sprach man rasch darüber, was man doch zuhause tut. Welche Ausbildung man gemacht hat und was man zukünftig machen möchte? Dies möchte ich keinesfalls werten. Vielmehr möchte ich hervorheben, welchen Wert Arbeit und Beruf im sozialen Kontext einnehmen.
Arbeit wird kulturell unterschiedlich bewertet
Dankenswerterweise habe ich in den darauffolgenden Jahren auch andere Erfahrungen gemacht. In meinen Reisen durch Spanien, Bolivien, Peru oder Ecuador waren Arbeit und Beruf weniger im Zentrum des sozialen Interesses. Vielmehr macht ich die Erfahrung, dass hier andere Lebenserfahrungen oder welch ein Mensch man sei zählten. Vor allem auf Wanderungen und Outdoortouren in Südamerika oder Spanien war der Beruf eher selten ein Thema.
Wie sich zeigt, ist die Bedeutung von Arbeit hinsichtlich einer sozialen Bewertung auch kulturell unterschiedlich und keinesfalls ein Naturgesetz. Dies zeigt auch ein historischer Exkurs über den Wandel der Bedeutung von Arbeit.
Historischer Abriss der Arbeit
Die Bedeutung der Arbeit hat sich in den vergangenen Tausend Jahren und vor allem auch seit dem zweiten Weltkrieg stets verändert. Hier nun ein kurzer historischer Abriss:
Arbeit in der Antike
Vor über 2000 Jahren wurde in der Antike die Arbeit – im Gegensatz zu heute – nicht als etwas Edles, sondern Niederes angesehen. Vor allem die alten Griechen und Römer ließen lieber andere für sich arbeiten. Es war die Zeit der Muße. Die Zeit für Kunst, Kultur und (das Recht auf) Faulheit waren ein Zeichen des Wohlstandes. Ein trauriger Nebeneffekt war damals die Sklaverei. Aber andererseits: Auch heute arbeiten auch in der westlichen Welt Zig-Millionen Menschen unter präkeren Vollzeit-Bedingungen für weniger Geld, als sie zum Leben bräuchten. Dennoch haben sich unter dem Strich die Arbeitsbedingungen seit den letzten 2000 Jahren stark verbessert.
Arbeit seit dem zweiten Weltkrieg
Betrachtet man alleine die vergangenen Jahrzehnte seit dem zweiten Weltkrieg, so hat sich die Bedeutung der Arbeit über die Generationen hinweg stets verschoben. Während in der Nachkriegszeit das Arbeitslebensmotto “Leben um zu arbeiten” lautete, wandelte sich dies Jahrzehnte später in “Arbeiten um zu Leben”. Bei heutigen Generationen und Jugendbewegungen spricht man hingegen eher von “zuerst leben, dann arbeiten”.
Klar, diese Einstellungen zur Arbeit sind nicht verallgemeindernd auf jeden anwendbar, sondern repräsentieren eher den vorherrschenden Zeitgeist. So gab es schon damals Menschen, die zunächst mal leben wollen würden, wie auch Narziß in Hermann Hesses Novelle Narziß und Goldmund oder der Hippiebewegung. Und im gegenwärtigen Zeitgeist wiederum gibt es genauso Menschen, welche die Arbeit als zentralen Lebenssinn sehen und in der Arbeitssucht aufgehen oder verfallen. Häufig werden sie auch als Workaholics bezeichnet.
Letztendlich ist es zwar eine persönliche Entscheidung wie jeder sein Leben leben möchte und welchen Wert Arbeit einnimmt, doch dennoch sollten die Rahmenbedingungen der Arbeit eher Motivation statt Zynismus hervorrufen.
Der moderne Zeitgeist
Auch der moderne Zeitgeist wertet den Wert der Arbeit als etwas Zentrales im Leben eines Menschen. Dies lässt sich nicht nur anhand der bevorzugten Kennenlernfragen verdeutlichen. Es reicht schon, wenn man Langzeitarbeitslose über ihren wahrgenommenen Wert in Familie und Gesellschaft befragt. Doch das war nicht immer so und muss auch nicht immer so bleiben.
Wer nicht arbeitet ist faul, lautet der O-Ton zynischer Entscheidungsträger, aber auch anderer arbeitender Menschen. Was ist der Mensch noch wert, wenn er nicht arbeitet?
Das Recht auf Faulheit
Doch sind wir als Menschen nur wertvoll, wenn wir stets arbeitsmotiviert sind und dem Faulsein eine heftige Abfuhr erteilen? Oder ist es auch okay, wenn wir mal “faul” sind und einfach mal nur SEIN wollen? Ein Schüler des Philosophen Karl Marx – Paul Lafargue – kritisierte in seinen Schriften im Jahr 1880 den damals vorherrschenden kapitalistisch orientierten Arbeitsbegriff, welche von der “Arbeitssucht” beherrscht und dogmatisiert wurde. Er kritisierte in seinem Werk nicht nur die damals – teils prekären – Arbeitsbedingungen, sondern auch die Religionisierung der Arbeit.
Wichtig: Er kritisierte nicht die Arbeit an sich, sondern die Funktionalisierung der Arbeit zu Herrschaftszwecken und (Selbst-)Ausbeutung. Lafargue hielt dem Bild des Maschinenmenschen (der Mensch als Arbeitsmaschine) den Vorzügen des “edlen Wilden” romantisierend entgegen. Schon damals beschrieb Paul Lafargue die Kolonialisierung anderer Länder als eine Folge der Überproduktion und stellte dies auch in das Zentrum seiner Kritik an der damaligen Herrschaftsstruktur und der Konsumwut.
Arbeit von der Kolonialisierung bis zur Coronapandemie
Kommt uns dies nicht irgendwie bekannt vor? Globalisierung? Überproduktion? Konsumwut? Recht auf Arbeit und Arbeit um jeden Preis? Höher, schneller, weiter? Das war vor 140 Jahren so und ist heute wieder so. Übrigens, Lafargues Hauptwerk “Recht auf Faulheit” war in vielen Ländern lange Zeit verboten.
Irgendwie scheint es mir, dass in der heutigen Zeit der Überproduktion die Schriften von Lafargue und anderer Philosophen (z.B. Voltaire, Hegel,…) wieder an Bedeutung gewinnen könnten. Denn vor allem in Zeiten des Umbruchs, welcher durch die Coronapandemie 2020 eine Initialzündung des unerwarteten Wandels erfahren hat, sollten wir uns die Frage stellen: Auf welchen Werten und Weltbildern wollen wir aus der Coronakrise heraustreten? Welchen Wert soll Arbeit haben? Soll das kapitalistisch orientierte BIP weiterhin als weltweites Staatsziel Nummer 1 festgelegt werden? Oder orientieren wir uns lieber an Länder wie Nepal oder Neuseeland, welche vom BIP als Wirtschaftsdogma Abstand nehmen und bereits neue Wege eingeschlagen haben?
Die psychischen Folgen der Massenarbeitslosigkeit
Die kurze Freude an der Nicht-Arbeit
Mal ganz ehrlich: Niemand verfällt schnell in eine tiefe Depression, wenn man ein oder zwei Wochen keine Arbeit hat. Vor allem dann, wenn jemand viele Arbeitsjahre hinter sich hat, einen Job verlässt (wg. Kündigung, Vertragsende, Vertragsauflösung oder Insolvenz des Unternehmens) und schon einen neuen Job in Aussicht hat. Die paar Wochen der Arbeitslosigkeit können durchaus genossen werden um Dinge zu tun, für die man selbst keine Zeit hat. Eine Art Sonderurlaub.
„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Wir brauchen mehr, nicht nur Spiele. Wir brauchen Arbeit unter menschenwürdigen Bedingungen, um vollends Mensch zu sein.“
Marie Jahoda (österreichische Sozialpsychologin)
Psychische Folgen der Arbeitslosigkeit
Doch wenn man keinen neuen Job in Aussicht hat und schon über viele Wochen und Monate auf Jobsuche ist, kann das ganz schön frustrieren. Anfänglich ist die Motivation und die Überzeugung rasch einen passenden Job zu finden noch höher. Doch mit fortschreitender Arbeitslosendauer steigt das Risiko an Selbstzweifel zu erkranken. Orientierungslosigkeit, Stimmungstiefs, steigende Antriebslosigkeit und ein Selbstwertverlust machen sich breit. Der Selbstwertverlust ist auch umso höher, desto höher der Wert der Arbeit von einem selbst, dem sozialen Umfeld und der Gesellschaft angesehen wird.
Durch die eintretenden psychischen Folgen droht auch der Lebensrhythmus zu verschwimmen. Die Struktur des Arbeitsalltags geht verloren. Jeder Tag ist wie Sonntag, nur dass eben die Geschäfte offen haben. Es ist Sonntwoch! Oder doch schon Montwoch?
Die Zeitstruktur geht verloren und die Zeit vor TV, Netflix, Instagram und TikTok steigt an. Freunde von früher haben keine Zeit für dich, denn immerhin haben sie in der Arbeit so viel zu tun, dass sie am Feierabend nur noch nach Hause zur Familie wollen. Nicht bös gemeint! Es wird egal wann man schlafengeht oder aufwacht, es sei denn man hat einen Termin beim Arbeitsamt bzw. AMS. Der Schlafrhythmus kommt durcheinander und auch der Biorhythmus verschiebt sich. Dies ist auch neurowissenschaftlich nachgewiesen! Schlafstörungen und weitere psychische Folgen sind nicht mehr auszuschließen und ernstzunehmen.
Die Hoffnungslosigkeit der Massenarbeitslosigkeit
Wenn nun noch Massenarbeitslosigkeit hinzukommt, droht auch die Gefahr, dass der letzte Funken Hoffnung auf ein erfülltes Leben der Planbarkeit, finanziellen Freiheit und die Lust auf Freizeit – also der Folge eines Jobs – erlischt. So erlebt hatten dies auch die Arbeitslosen von Marienthal – als eines von vielen historischen Beispielen. Man könnte nun fälschlicherweise annehmen, dass Massenarbeitslosigkeit zu einer gesellschaftspolitischen Revolte führen würde. Doch die Forschung zeigt: Massenarbeitslosigkeit führt zu Resignation.
Arbeit als Sinnstiftung
Wissenschaftliche Pionierarbeit der Psychologie der Arbeit und Arbeitslosigkeit erbrachte die österreichische Psychologin Marie Jahoda. Infolge der großen Wirtschaftskrise kam es zu einer 1931 zu einem großen Anstieg der Arbeitslosigkeit. So auch in Marienthal in der Nähe von Wien. Durch die Schließung einer Fabrik kam es in Marienthal zu einer Arbeitslosigkeit von 75%!!!
Darauf führte Marie Jahoda 1933 die Studie “Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziographischer Versuch über die Wirkungen langandauernder Arbeitslosigkeit” durch. Anhand der Studie zeigte sie auf, dass Arbeitslosigkeit sich nicht nur auf das Materielle, sondern auch auf die Psyche der Menschen negativ auswirkte. Aus ihren Untersuchungen leitete sie auch die Bedeutung der Arbeit für den Menschen ab. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Arbeit für den Menschen mehr ist als der Erwerb von Geld, sondern dem Menschen auch einen tieferen Sinn im Leben zu verleihen vermag. Dies sollte in zukünftigen gesellschaftlichen Maßnahmen auch stärker berücksichtigt werden.
Die fünf psychologischen Funktionen der Arbeit
Eine zentrale Erkenntnis aus Marie Jahodas berühmter Studie zu den “Arbeitslosen von Marienthal” war, dass Arbeitslosigkeit sich nicht nur auf das materielle Leid des Menschen auswirkt. Arbeit hat für den Menschen auch wichtige psychologische Funktionen. Dabei geht es nicht zwingend um den Status einer festen Erwerbsarbeit bei einem Unternehmen, sondern vielmehr um eine Tätigkeit an sich. Solche Tätigkeiten können auch durch freiwillige Arbeit oder auch Arbeit zuhause erfahren werden.
Aus den Erkenntnissen ihrer Studien lassen sich fünf wesentliche psychologische Prinzipien zur Bedeutung der Arbeit für den Menschen ableiten. Arbeit ist für den Menschen wichtig wegen der (1) Erfahrung der Zeitstruktur, (2) sozialer Erfahrungen, (3) Erfahrungen über Kollektiv, Gemeinsamkeit und ein größeres Ganzes, ermöglicht (4) soziale Integration und Teilhabe sowie die einer (5) Tätigkeit selbst innewohnenden Möglichkeiten zur Fähigkeitsentwicklung. Eine kurze Beschreibung zu diesen fünf Funktionen der Arbeit findet ihr in der Grafik:
Die Zukunft der Arbeit
Neben dem Wandel der Bedeutung der Arbeit haben sich auch die Arbeitsbedingungen in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten deutlich gebessert. Jedoch ist dies kein Anlass dafür sich auszuruhen und sich mit den aktuellen Rahmenbedingungen zufriedenzugeben. Ein 12-Stunden-Arbeitstag bzw. 60-Stundenwoche lässt sich zwar aus marktwirtschaftlicher begründen, doch die arbeitspsychologischen, medizinischen und humanistischen Aspekte fanden hier wohl kaum Berücksichtigung. Der Trend sollte eher Richtung Arbeitszeitverkürzung bei gleichsteigender Arbeitsqualität sein. Es gibt noch ausreichend Entwicklungschancen wie man die Rahmenbedingungen der Arbeit deutlich verbessern kann und zugleich auch die Wertschöpfung steigern könnte.
Nicht nur aus Fragen der Gerechtigkeit und Fairness, sondern auch aufgrund anstehender Megaherausforderungen wie der Digitalisierung und dem Klimawandel. Die Arbeit der Zukunft muss sich nicht nur den Fragen der Gerechtigkeit stellen, sondern auch fundamentalen Fragen der Bedeutung der Arbeit. Soll Arbeit weiterhin als Lohnarbeit festgelegt werden oder sollten nicht doch eher intrinsisch-motivationale Ansätze konstruiert werden um einen Nährboden der Potentialentfaltung für mehr Fachkräfte zu schaffen? Soll der Mensch weiterhin mit Sinnlos-Tätigkeiten im Sinne des “Rechts auf Arbeit” nachgehen oder wäre es nicht besser in demokratischer Breite über Regeln für ein Grundeinkommen zu diskutieren damit auch die Nicht-Fachkräfte die Zeit für Weiterbildung und eigene Projekte haben. Denn immerhin hat die Lohnarbeit ja kein Monopol auf den Arbeitsbegriff, weil auch Haushalt, Erziehung, Gartenarbeit sowie Kunst und eigene Projekte dem Menschen ebenfalls einen gesellschaftlichen und psychologischen Wert in sich tragen.
Weiterführende Quellen:
Jahoda Institut. Die soziale Bedeutung von Arbeit. Abgerufen am 30. April 2020 unter https://jbi.or.at/marie-jahoda/arbeit/
Jahoda, M. (1984) Braucht der Mensch die Arbeit? In: Frank Niess (Hrsg.): Leben wir, um zu arbeiten? Die Arbeitswelt im Umbruch, S. 11-17, Köln
Lafargue, P. (1887). Das Recht auf Faulheit: Widerlegung des „Rechts auf Arbeit“. Hottingen/Zürich: Verlag der Volksbuchhandlungen
Nikolic, M. (2019). Neue Arbeitswelten durch KI: Wie sich Arbeit in den nächsten Jahren verändert. Online-Artikel abgerufen am 1. Mai 2020 unter https://www.derbrutkasten.com/ki-wie-sich-arbeit-veraendert
Precht, R. (2020). Jäger, Hirten, Kritiker. Eine Utopie für die digitale Gesellschaft. München: Goldmann
WIKI. Das Recht auf Faulheit. Abgerufen am 30. April 2020 unter https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Recht_auf_Faulheit
WIKI. Die Arbeitslosen von Marienthal. Abgerufen am 30. April 2020 unter https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Arbeitslosen_von_Marienthal